Intro: Es geht ums Stillen. Ich habe nicht gestillt. Zuerst schon, dann aufgegeben. Es wird keine Werbung für Fläschchenmilch folgen. Ich möchte erzählen, wie ich die ersten Monate erlebt habe und meine persönlichen Erfahrungen teilen.
Meine Vorbereitung auf das Mutter-Werden verlief im Verborgenen. Ich wollte mit meinen Fragen und Unklarheiten nicht nach Außen gehen, aus Angst noch mehr verunsichert zu werden. Ich hatte keinerlei Erfahrung. Keine Babys in der Umgebung aufwachsen sehen, nicht in meiner Familie, nicht im Freundeskreis. Ich war ein absoluter Beginner. Spätestens im Mutterschutz hatte ich die gesamte Literatur durch. Über das Stillen machte ich mir am wenigsten Sorgen. Ich dachte mir bei alle den Milliarden Menschen auf diesem Erdball, muss Stillen etwas ganz intuitives Sein, sonst würde es die Menschheit in der Vielzahl nicht geben. Stillen kann kein Vorgang sein für den man eine Betriebsanleitung braucht. Falsch! Es klappt leider nicht auf Anhieb.
Bis sich die externe Pipeline zwischen Mutter und Kind eingespielt hat, vergehen Wochen. Unterstützung ist absolut erforderlich.
Ich hatte nach der Geburt Schmerzen am ganzen Körper, aber beim Milch geben knirschten meine Zähne am meisten. Ich bat um Topfenwickel (de: Quark) und fragte nach anderen Möglichkeiten um meine ehemals flachen Brüste zu kurieren. Die Schwestern im Spital waren ständig im Einsatz und so war ich mir selbst überlassen. Zu Hause im Wochenbett war ich so wund, dass ich sogar blutete. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich war völlig schockiert, bekam Fieber und hatte ohnedies postnatale Heulkrämpfe. Plan B war die Pumpe. Ich ekelte mich vor der sich verändernden Konsistenz im Kühlschrank, konnte nicht glauben, dass irgendwer so etwas zugeführt bekommen möchte.
Mein geistiges Management entschied sich für: Verantwortung delegieren. Die Milchpulverindustrie. Ganz einfach. Unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen wird das Pulver für die Fläschchennahrung hergestellt, ständig weiter entwickelt, kontrolliert, validiert. Ein breites Angebot im Drogeriemarkt mit Fläschchen, Sterilisatoren, ökologischen Gummisaugern – Alles da. Unsere Küche verwandelte sich in kürzester Zeit in ein Labor. Mit der Zeit wurde ich zum Vollprofi. Abgekochtes Wasser in verschiedenen Thermoskannen und unterschiedlichen Temperaturen. Daneben ein Notizbuch über die gegebenen Milchmengen. Top.
Natürlich war das kein Spaß! Es war anfangs erleichternd zu erleben, dass mein Baby satt wurde und länger als ein paar Minuten schlafen konnte. Den Rhythmus der ersten Still-Tage behielt ich leider bei. Das hieß: Lieber öfter “Anlegen” als zu selten. Mein Baby wurde in kürzester Zeit zum little Buddha. Die Kinderärztin war besorgt über die starke Gewichtszunahme. Das führte leider auch dazu, dass das schwallartige Erbrechen im 3. Monat als gewöhnlicher Reflux diagnostiziert wurde und das war falsch. Pylorusstenose. Eine Magenpförtnerverengung die nur durch einen operativen Eingriff behoben werden kann. Die Ursache für diese Erkrankung ist wissenschaftlich nicht geklärt. Ich machte mir jedoch große Selbstvorwürfe und die Tage im Spital, vor und nach der Operation waren freilich keine leichten.
Als es dann mit Beikost losging wollte ich schließlich alles perfekt machen. Ich bestellte online den besten Dampfgarer. Ich kaufte jede Gemüsesorte im Bioladen ein. Ich machte mir selbst so viel Druck, dass die Liebkosungen auf der Strecke blieben. Heute essen wir gemeinsam, zu Tisch, manchmal auch am Boden oder in der U-bahn, bei Freunden oder im Restaurant. Gesunde Ernährung ist mir wichtig, aber hauptsächlich will ich unser Essen genießen. Es ist einfach so viel einfacher geworden.
Wenn ich wieder ein Kind bekomme, werde ich vielmehr auf Hilfe bestehen, sollte es beim Stillen Schwierigkeiten geben. Ich würde nicht so schnell aufgeben. Und! Ich hätte keine Scheu mehr, meine nackten Brüste anderen zuzumuten.
“Titten” sind ein Sexsymbol, sie erregen nicht nur den Mann, sie stimulieren auch die Lust der Frau. Deshalb finde ich es irritierend, wenn die Stillperiode über die Maßen hinausgezögert wird. Kann jeder handhaben wie er möchte. Ein Vierjähriges Kind würde ich allerdings nicht mehr Stillen. Unnötig das hier anzuführen, weil ich es wirklich nur einmal gesehen habe. Es entspricht nicht der Norm.
Wirklich schockierend waren die unterschwelligen Bemerkungen, die Seitenhiebe anderer auf mein “ich habe schon abgestillt”.
Ich wurde ständig und überall dazu befragt.
Warum, wieso, weshalb.
“Ja, die Fläschchenmilch ist heutzutage auch schon recht gut.”
Zwischen den Zeilen, hieß es: “Wie egoistisch von dir. Das wirst du büßen. Wie leichtsinnig kann man sein.”. Ja das war so!
Bei einem Weiterbildungskurs für Mütter in Karenz lernte ich sie höchstpersönlich kennen. Die Still-Mafia. Sie hatten eine Art Stammtisch. Milch statt Bier. Sinn und Zweck war es, über das Stillen zu sprechen, sich das gegenseitig vorzuführen und über nicht-stillende Mütter zu lästern. Wer würde mir das glauben? Es war so und es könnte mir egal sein. Aber mein Eindruck, dass die 50er-Jahre Ideologie ins Neo-Biedermeier geholt worden sind, bestätigte sich immer wieder.
Abends, nach dem Kurs holte ich mir einen Drink aus der Küche, setzte mich auf den Balkon und dachte mir: Geht´s scheißen!
Wie gesagt, ich finde Stillen durchaus praktischer, gesünder und liebevoller als Milch durch Fläschchen. Daran halte ich fest! Eine Stillgruppe würde ich aber auch in Zukunft nicht aufsuchen. Das ist mir zu albern. Wenn ich wieder ein Kind bekomme, mitten in der Stadt stehe, mein Baby Hunger bekommt, kann sogar die gesamte Presse mit laufender Kamera an mir vorbei gehen: Ich werde mein Shirt hochschieben, mein Baby anlegen und mir denken: Geht´s scheißen, ihr Glotzer 🙂