Entweder habe ich nur die am besten bearbeiteten Fotos von mir archiviert, oder ich war tatsächlich ein Schnittchen mit Anfang Zwanzig. Ich weiß es nicht, aber ich weiß, dass ich große Selbstzweifel hatte. Ich war nicht nur zweifelnd. Ich war manchmal sogar übertrieben selbstbewusst. Das aber erst ab der zweiten Runde Wodka-Red-Bull. Durch diese Mischgetränke war ich aufgeweckt und beschwipst gleichzeitig. Ich machte blöde Bemerkungen und gleichzeitig hatte ich den Eindruck, dass sich Alle um mich kümmern wollen würden. Das war schon recht lustig und vielleicht genoss ich die Aufmerksamkeit die mir als betrunkene Studentin zuteil wurde.
Wenn es da nicht den Tag danach gäbe. Ich vermisse ihn nicht. Es ist der Tag an dem du dir schwörst nie, nie, nie wieder so viel trinken zu wollen. Du bist bereit bei Gott zu schwören, überhaupt NIE wieder auch nur einen Tropfen zu trinken und bittest deine Leber, sie möge dir vergeben. In solch einem Moment weißt du nur, dass du Alles bereust das am Vorabend passiert ist, ohne annähernd zu erinnern was genau alles passierte. Man will sich Gewissheit verschaffen, aber erst nachdem man den Kater in den Griff bekommen hat. Ich bin so froh, dass es damals noch keine Social Media Live Stroys gab. Wir hatten Facebook und die ersten iPhones. Ich war aber hauptsächlich auf StudiVZ aktiv und fand es damals noch recht ungewohnt mit Leuten „befreundet“ zu sein die ja gar nicht meine echten Freunde waren.
Mit Zwanzig hatte ich keinen Plan vom Leben. Ich hatte einen Kollegen der das Wort Fetisch benutzte. Ich kannte diesen Begriff noch nicht und spekulierte auf einen Terminus aus dem Bereich Mode. Es könnte sowas wie ein Poncho, oder Batik sein, dachte ich mir. Umgekehrt glaubte ich, mein Schulfreund wollte mich veräppeln als er mir sagte, ich solle zuerst immatrikulieren. Das klang obszön und ich ahnte nicht, dass es etwas mit „Uni“ zu tun haben würde. Ich war verloren.
Ich bekam es geregelt. Ich war immatrikuliert und inskripiert an der Uni Wien und schaffte auf Anhieb die Aufnahmeprüfung der Ringvorlesung. Ich war sogar so gut, dass ich schon im ersten Semester mit Statistik starten durfte. Wie erfreulich! Für Jemanden der heute noch Alpträume von Matheprüfungen aus der Schulzeit hat.
Ich werde im Juni dieses Jahres 32 Jahre alt und ich schwöre, ich habe immer wieder den Traum, dass ich Matheprüfungen nachholen muss um meine Matura behalten zu dürfen. Ich hatte viele Fehlstunden in Mathe und nicht die Leistung für eine positive Beurteilung. Ich verhandelte akribisch mit Frau M. , der damaligen Mathelehrerin und bedrängte sie mich durchzulassen. Ich argumentierte damit, dass ich nach Abschluss an der Tourismusschule ja eh gleich aufs Schiff arbeiten gehen würde und Niemand meine Fähigkeiten im Logarithmieren überprüfen würde. Frau M. war sichtlich überfordert mit mir. Es war ihr sehr unwohl dabei, aber schlussendlich lies sie mich ohne eine Nachprüfung durch. Danke nochmal. Sie weiß es nicht mehr, kennt wahrscheinlich nicht einmal mehr meinen Namen, aber ich verhandle heute noch mit meinem schlechten Gewissen. Zumindest während ich schlafe!
Nun gut, ich war dann also im Statistik Seminar der Uni Wien und kam nach 6 Semestern zu der Einsicht, dass hier Niemand bestechlich ist und ich es einfach nicht kann. Ich bin keine Statistikerin. Ich wollte ja auch Psychologie studieren und nicht Statistik. Wer sich für Sigmund Freud interessiert, sollte wohl an die SFU…
Nach einer kompakten Fachausbildung an einer Privatschule, konnte ich außerdem mit dem legerem Stundenplan für Erstsemestrige nicht umgehen. Ich hatte Sorge, dass ich in meiner „Zelle“ des Adolf-Schärf-Wohnhauses an der Brigittenauer Lände verkümmern würde und startete deshalb sofort in eine Teizeitarbeit bei DO&CO. Als Commis de Rang im Restaurant am Stephansplatz und später in der Onyx Bar, hatte ich eine völlig konträre Atmosphäre zum übrigen Studentenleben. Die Gäste im Haas-Haus waren scheinbar alle vermögend, mit einander verbandelt und wichtig. Ich fühlte mich weniger wichtig. Ich fühlte mich „zuviel“, vergleichen mit den Kapazitäten an der Uni Wien. Und ich fühlte mich “zu wenig”, verglichen mit der Gesellschaft der Upper Class. Chronische Verunsicherung.
Es gab auch lustige Erlebnisse während der Studentenzeit. Ich hatte einen Nachbarn der selbst Gras anbaute und mir einmal eine Kostprobe mit auf den Weg gab. Ich machte – zurück in meiner WG – die völlig neue Erfahrung, in einem wunderschönen Altbau mit Flügeltüren leben zu dürfen. Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben keinen Standrechner mehr sondern einen Laptop. Ich konnte über kino.to Filme streamen und schaute mir zum ersten Mal im Leben den Film Nothing Hill an. Als das Gras anfing zu wirken, kam die Szene mit dem ulkigen Spike der in Unterhose die Reporter vor der Haustür begrüßte. Ich musste Tränen lachen und konnte und konnte nicht mehr aufhören zu lachen.
Gras rauchen hätte mein neues Hobby werden können – eine passende Attitüde für Studenten der Geisteswissenschaften. Aber mir war dieser Lach-Flash, den ich bei Nothing Hill erlebte, unangenehm. Ich wollte meinem Nachbarn gegenüber nicht uncool wirken und vermied danach weitere Treffen mit ihm, anstatt dazu zu stehen, keine Kifferin sein zu wollen.
Jetzt kommt der Abschnitt eines Blog-Beitrags in dem ich erklären sollte, wie mein Leben nun als Dreißigjährige aussieht. Um dem Titel gerecht zu werden, müsste ich erklären, was sich bei mir geändert hat und was aus heutiger Sicht besser geworden ist. Ich könnte es erläutern. Ich mache es aber nicht. Ich habe keine Lust mehr weiter zu schreiben – zumindest heute nicht mehr!
Und eben diese Haltung erklärt dann doch noch recht deutlich was es für mich bedeutet irgendwas mit dreißig zu sein.
Mir ist es nicht mehr so wichtig, den Erwartungen anderer gerecht zu werden. Ich habe andere Prioritäten: unter anderem mich selbst! 🙂

“Jahre lehren mehr als Bücher.” (Aristoteles)
Dass du schon als junger Mensch so extrem gut drauf bist, finde ich bemerkenswert!
Und sei versichert, Kiffen wäre dir als Hobby, geschweige denn als Attitüde, nicht wohl bekommen (sagt einer, der’s genau weiß!).
Noch weiterhin viel Erfolg und Freude bei all deinen Prioritäten!
Wer weiß!? Der Nachbar von dem ich erzählte, der ist seit einiger Zeit ein erfolgreicher Musikproduzent. Manchen bekommt es gut 🙂 Liebe Grüße
Ja, die gibt es wohl auch. Der Nachbar wusste wohl besser damit umzugehen. Für mich war’s, wie es dein Bruder Sebastian im Humorlabor erzählt:”…das Kiffen schlecht für’s Gedächtnis ist..”
btw, der Spike-Moment ist auch ohne Hanf extrem lustig, ha ha .., ich hau mich weg!