Sonntag, 11.04.2021.
“Ich möchte einen Blogbeitrag schreiben, mich auf die Details konzentrieren, inhaltlich banal bleiben. Warum? Ich meine, dass es schon genug Meinungen gibt die in den sozialen Medien ausgetauscht werden. Ich suche nach einem Thema das unpolitisch und zeitlos ist. Ich möchte einen Text hervorbringen der eine gute Stimmung transportiert. Verglichen mit Musik wäre das Genre weder Schlager, noch Rock’n’Roll, sondern in Richtung Soulmusic aus den Charts der Neunziger. Simple but nice.”
Der Internationale Tag der Tonspurkassette.
“Ach, wie passend. Retro-Sujects der letzten Jahrzehnte eignen sich perfekt für Feel-Good-Texte gewürzt mit einem Quäntchen Ironie, Liebhaberei und Coolness. Wenn ich mich bemühe, könnte der Text zum potentiellen Anwärter für das Radio FM4-Magazin werden. Ich schreibe zwar nicht fürs Radio, aber der Gedanke hilft um dem Projekt einen Rahmen zu geben.
Kassette, Retro, Ironie, bissi cool, lieb, niemand wird beleidigt… Ich besitze sogar noch eine Kassette! Sie gehörte den Eltern von Dominik H.. Er überspielte Bruce Springsteen mit Offspring. Ich wollte wiederum eine leere Kassette mit Offspring tapen und weil „Pretty Fly For a White Guy“ nie im Radio kam, war er meine einzige Quelle um an diesen Track zu kommen. Ich vergaß darauf die Kassette zurück zu geben und denke, dass sie nun mir gehört.
Weitere Stickwörter für den Text: Zurückspuhlen, Kelly Family, Bibi Blocksberg, Autoradio mit Kassettenrecorder, ich singe Angel – Sometimes, I wish I were an Angel, sometimes, die Eltern nicht… Ich muss mich noch einmal hinlegen. Ich fotografiere die Kassette die ich noch irgendwo in meinen Kisten herumkullern habe. Dann steht zumindest das Beitragsbild. Über den Rest muss ich noch einmal nach denken.”
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Während ich alle Schubladen durchwühlte, die Kisten ausleerte, stieß ich auf unzählige Fundstücke: Konzertkarten, Tickets einer Interrailreise durch Frankreich, Belgien und, *zwinker-zwinker*, Amsterdam; Fotos, Briefe und Tagebücher.
Was wir in Religion lernen nehme ich nicht ernst ✍️
Tagebücher.
Insgesamt habe ich drei relevante Tagebücher. Das erste fällt in die Schulzeit als ich noch ein Kind war, das zweite beinhaltet Einträge aus meiner Jugend, das aktuelle beginnt während des Studiums in Wien und ist zur Hälfte noch unbeschrieben -– leere Seiten. Ich dokumentiere nicht regelmäßig meine Erlebnisse, im Gegenteil, ich schreibe Tagebuch nur um über Themen zu reflektieren die ich mit Niemanden teilen muss. Es ist eine Art “Aufräumen im Kopf” und das Niedergeschriebene ein Abfallprodukt emotionalen, mentalen Wirrwars. Entweder tut mir das Handgelenk nach 2 Seiten – Schreiben auf A9 – weh, oder ich erlange die Conclusio über einen Sachverhalt der mich eingangs noch so aufregte. Fazit: Tagebucheinträge sind Mirkro-Momentaufnahmen.
Schreibt ihr Tagebücher? Wie geht es Euch, wenn ihr lest, was ihr vor vielen Jahren geschrieben habt?
Ich denke, es geht uns allen ähnlich! Mal reagiert man etwas beschämt, mal ergriffen, freudig, mal auch wehmütig. Ich fand ein Foto von meiner Zimmerpflanze. Ich war, ach, vielleicht 8 Jahre alt. Ich stellte die Pflanze, an einem Tag im Frühjahr, auf die Terrasse. Sie sollte Sonne und frische Luft bekommen. Leider war es noch viel zu kalt draußen, ich war abgelenkt und bemerkte die schon erfrorene Pflanze erst als es zu spät war. Ich war wütend auf mich selbst. Wenn ich das Foto sehe – von Ficus Benjamini – fühle ich mich zurückversetzt, als ob kein Tag vergangen wäre.
Obwohl es mir heute noch leid tut, dass Fiscus Benjamini im Freien erfrieren musste, während ich bei meiner Freundin Iris war und die Zeit übersah, ist es kein Thema das ich auf der Sigmund-Freud-Couch unter professioneller Hilfe aufarbeiten müsste.
Tagebuch Zwei macht mich hingegen sehr nachdenklich. Es schockiert mich wie düster mein Weltbild war. Mir ist bewusst, dass der Prozess des Erwachsenwerdens brutale Facetten hat. Es ist die Trennung zweier Lebensphasen: nicht reibungslos, disharmonisch, unstet. Genre: Heavy Metal, Adele und Glashaus – “Wenn das Liebe ist” – in the mix. Ich bin unendlich dankbar dafür, dass es in meiner Schulzeit sehr viel Aufklärung zum Thema Drogen und Abhängigkeit gab. Auf mich hatte es abschreckende Wirkung. Rauchen wurde zwar als ungesund deklariert, war aber in den Neunzigern noch stark verbreitet. Sogar in den Jahren danach, als ich schon Studentin war, konnte man im Zug noch in Raucherabteilen mit 5 weiteren Personen sitzen. Jetzt fast nicht mehr vorstellbar. Gut so. Beim Thema Rauchen ging ich ins Netz, darüber hinaus nicht, zum Glück. Wenn ich lese, wie emotional, leider auch labil ich war, weiß ich heute, ich hätte es nicht verkraftet.
Leidensthemen
Nach dem Schulwechsel als ich 14 Jahre war, hatte ich Hoffnung, dass nur das Beste auf mich warten würde. Laut Tagebuch, war ich schon bald nicht mehr besonders zuversichtlich. Ich war keine dezidierte Außenseiterin, aber offensichtlich unglücklich. Ich erinnere mich, dass ich am Nachmittag nach der Schule direkt in mein Zimmer ging, mich aufs Bett legte und heulte.
Meine Hilflosigkeit im Familien-Patchwork-Komplex kann ich auch rückblickend nicht als pubertäres Anti-Verhalten abtun. Ich habe Verständnis für mich, wenn ich lese worüber ich mich mokierte. Ich fühlte mich unverstanden und das spielte nicht einmal eine Nebenrolle. Die Hauptrolle spielte mein Stiefvater, den ich auch nachträglich als unangenehmen Typen bezeichne. Er zeigte sich zwar verantwortlich, aber er war schon ein Tyrann. Ein Mensch der so humorlos und ungemütlich ist, ein Salz-Bürger eben, der ultimative Grund dafür, dass ich so bald wie nur möglich ausziehen, auswandern wollte. Abstand!
Und jetzt
Von Salzburg nach Wien. Ich bin gekommen um zu bleiben. In meiner Herkunftsfamilie hat sich Vieles geändert. Ich fahre gerne zurück – sowohl, als auch. Ich bin selbst Mutter in einer Art Patchwork-Familie. Ich weiß, dass es eine Herausforderung ist und im Idealfall nur das geringere Übel. Der Wunsch, die leiblichen Eltern unter einem Dach zu haben, bleibt. Diesen Wunsch kann ich meinem Sohn nicht erfüllen. Was ich sehr wohl tun kann, ist es, Bedürfnisse anzuerkennen.
Wenn es Gefühlsausbrüche gibt, egal zu welchem Thema, suche ich nach Lösungen und werde damit konfrontiert, dass ich in einigen Fällen keine Lösung anbieten kann. Es gibt so Vieles das man einfach nur als “Scheiße” bezeichnen kann, mehr nicht. Es gibt nicht an Allem einen positiven Aspekt. Manches ist eben einfach doof. Verständnis für die jüngeren Menschen zu zeigen, bedeutet für mich nicht, einzuknicken, sondern Respekt zu zollen. Immer wieder darf ich die wunderbare Erfahrung machen, dass das Aufbringen von Verständnis und Empathie dazu führt, dass ich als Bezugsperson respektiert werde.
Ergo
Vom Tagebuchblättern – einer Zeitreise durch die Jugend und ihre Höhen und Tiefen – landete ich abends vor dem Fernseher. Nach dem Sonntags-Tatort im Öffentlichen Rundfunk diskutieren Anne-Will und, in Österreich, Claudia Reiterer über die politischen Themen des Landes. Wer war diesmal zu Gast? Vertreter der Jugend über den Umgang mit bzw. in der Coronakrise.
“Ich weiß, dass ich einen unpolitischen und zeitlosen Beitrag schreiben wollte! Ich kann die Sendung erwähnen, ohne die Inhalte zu erörtern, mit folgendem Fazit zur Talkshow im ORF:”
Raum geben – Zuhören – Annehmen – Verständnis zeigen… – Respekt.
Noch was
Für viele Herausforderungen, egal ob inner-familiär, oder die gesamte Gesellschaft betreffend, gibt es manchmal keine schnellen Lösungen. Es gibt aber, die heutige Jugend betreffend, die Möglichkeit anzuerkennen, dass ihr Beitrag zur Eindämmung der Pandemie sehr hoch ist. Das Fernbleiben vom öffentlichen Raum (Stichwort: Home-Schooling) wurde den Jugendlichen verordnet, den Bürokräften in der Privatwirtschaft nicht. Hier blieb es bei einer Empfehlung! Kinder und Jugendliche wurden zuletzt, vorschriftsmäßig, öfter getestet als die Erwachsenen und – ihren subjektiven Neigungen und Interessen entsprechend – stärker beschränkt als alle anderen Alters(/-Risiko)gruppen in den vergangenen Monaten. Wer ist hier das Vorbild?
Gemischte Gefühle: Lobenswert, aber auch besorgniserregend. So sehr ich mich beim Tagebuch-Lesen manchmal geniere, sind mir die “trashigen” Aggro-Beiträge lieber, als die von Vernunft und Depression gezeichneten. Ich plädiere nicht für Selbstzerstörung, Corona-Partys und Exzesse. Selbstausdruck und Initiative, das Einfordern von Raum, das wäre, denke ich, so wichtig!
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Talk | Im Zentrum
Die Jungen und Corona – vergessen, verloren, verstummt?
Stilles Leiden – so ließe sich die Lage der jungen Menschen im zweiten Jahr der Corona-Pandemie beschreiben. Keine Freunde treffen, Schule und Uni oft nur via Internet, im Impfplan an letzter Stelle. Die Jungen gelten nicht als Risikogruppe, ihnen wurde von Anfang an Rücksichtnahme auf die Älteren verordnet. Protest dagegen gibt es kaum, hingegen nehmen Depressionen und andere psychische Erkrankungen bei den Jüngeren zu. Wenn Jugendliche für Aufregung sorgen, dann eher mit verbotenen Corona-Partys. Hätte die Politik beim Krisenmanagement andere Prioritäten setzen können? Warum beim Impfen nicht mit den Jungen beginnen? Sind die Jungen zu vernünftig und zu angepasst, statt lautstark und engagiert für ihre Interessen einzutreten?